Mein erster Instinkt bei solchen Stories ist immer, dass ich versuche mir ein gut formuliertes, ausführliches Argument
für die No-Fly-Liste von einem konservativen amerikanischen Blogger, Journalisten oder Think Tank rauszusuchen.
Der ganze Subtext bei solchen Meldungen oder Diskussionen über die Anti-Terrorismuspolitik der USA nach dem 11. September geht oft in die Richtung:
"Oh mein Gott, die dummen Amis und vor allem die blöden Republikaner, schau nur an wie wahnsinnig und dämlich die wegen ihrer blöden Terrorismus-Angst sind, oh mein Gott, ich aufgeklärter Europäer bin ja so toll!!!11elf11!1!" Mich interessiert bei solchen Themen einfach das stärkste Argument der
Gegenseite, gerade wenn es um ein Thema wie amerikanische Terrorismusbekämpfung geht, wo sich scheinbar bei uns jeder einig ist.
Mein zweiter Instinkt ist der, dass die No-Fly-Liste wohl am ehesten im Kontext einer Panikreaktion nach den Terrorattacken vom 11. September zu sehen ist. Man wollte als damalige Regierung Bush (und das wäre auch bei einem Wahlsieg von Al Gore 2000 kaum anders gewesen) Handlungsstärke signalisieren. Außerdem hat man vielleicht wirklich mit verschiedenen Maßnahmen erstmal rumprobiert, um zu sehen ob sie einen Unterschied machen oder die Terrorismusbekämpfung verbessern. Solange von öffentlicher- oder Regierungsseite kein expliziter Stopp der Maßnahmen formuliert wird, entwickeln solche Listen oder Maßnahmen in bürokratischen Institutionen oft ein Eigenleben und werden quasi automatisch weitergeführt oder weiterentwickelt. In den letzten zwanzig Jahren gab es von öffentlicher Seite einen großen Fokus darauf, Terroroanschläge mit vielen Mitteln zu verhindern, von daher ist das Weiterbestehen dieser No-Fly-List leicht zu erklären.
Interessant finde ich bei solchen Dingen immer, dass gerade bei den typischen "Linksliberalen" (wie ich sie nenne) die Nennung amerikanischer Terrorbekämpfungsmaßnahmen wie dieser quasi schon per Erwähnung als Pointe eines Witzes fungieren soll und man sich über die dämliche Überreaktion der Amerikaner nach dem 11. September automatisch naserümpfend aufregt und sich lustig macht. Bei den Coronamaßnahmen hingegen gab es natürlich nie eine staatliche Überreaktion. Und alle Maßnahmen, selbst wenn sie in der Rückschau als bizarr erscheinen oder massiven Schaden angerichtet haben, müssen "im Kontext der damaligen Angst vor Corona gesehen werden" und dürfen kaum kritisiert werden. Wenn man diesen Standard auf amerikanische Politik nach dem 11. September anwenden würde, wären viele Linksliberale dazu gezwungen, die damaligen Maßnahmen der Regierung Bush deutlich weniger kritisch zu bewerten. Das geht natürlich nicht. Deswegen gilt: "War on Terror" = Alles total dämlich, katastrophal und zum Totlachen; Covid-Maßnahmen = "Müssen immer im Kontext der damaligen Situation gesehen werden und wurden ja auch mit guter Intention durchgeführt". Diskussion Ende. (Natürlich

)
Ich tippe auch darauf, dass tatsächlich im Zweifelsfall so einige Personen auf dieser No-Fly-Liste landen, die da nicht hingehören und die da eigentlich wegmüssten. Vielleicht wird die No-Fly-Liste intern auch selten revidiert, gerade wenn schon so viele Namen drauf sind und jede Einzelüberprüfung schwieriger wird. Das ist natürlich kein Argument für einen exzessiven Gebrauch dieser No-Fly-Liste - und man kann gerne auch die Frage stellen, ob die Liste
überhaupt einen gewichtigen Unterschied macht. Man würde sich spontan eine Klagemöglichkeit auch für Ausländer wünschen, weil die Erwähnung auf dieser List sonst ganz schnell eine bizarre Note bekommt und man sich wie in "Der Prozess" fühlt. Konservative Amerikaner würden darauf natürlich antworten, dass die Einreise per Flugzeug in die USA kein Menschenrecht ist und man wegen der "Mitgliedschaft" auf dieser Liste eben nicht automatisch im Gefängnis ist. Das stimmt. Trotzdem hat sie teils kafkaeske Auswirkungen und eine Klagemöglichkeit würde auch die Möglichkeit beinhalten, auf der Liste
draufzubleiben, wenn die Verdachtsmomente im Kampf gegen den Terrorismus eine bestimtme Schwelle überschreiten. Mal abgesehen davon, dass sie wirklich in dieser Form ein Imageproblem sind. Es wirkt einfach manchmal übertrieben.
Dennoch sollte man auch einige Gegenargumente nicht vergessen. Wir wissen nicht, welche Geheimdienstinformationen (wie von der NSA abgehörte Telefonate) bei manchen Personen auf dieser Liste ausschlaggebend waren. Hochrangige US-Abgeordnete der Geheimdienstausschüsse im Kongress und auch Obama als Präsident haben allerdings drauf Hinweise gegeben. Die Tatsache, dass vielleicht
viele Personen auf der No-Fly-Liste kein Sicherheitsrisiko darstellen, bedeutet nicht, dass
alle der Personen auf dieser Liste kein Sicherheitsrisiko darstellten. So kann es zum Beispiel Personen geben, welche sich klar im Umfeld eines Terroristen oder einer Organisation oder einer radikalen Moschee bewegen und bei denen man wiederum mit einer höheren Wahrscheinlichkeit annehmen kann, dass diese deutlich mehr geneigt wären für Probleme zu sorgen als Oma Hildegard oder Geschäftsmann Klaus. Und die zwar nicht direktes Abhörziel einiger Geheimdienste waren, über die man allerdings im Zuge solcher Maßnahmen ebenfalls Informationen bekommen hat. Wenn die sich dann schnell radikalisieren und dann passiert etwas, ist angebliches Geheimdienstversagen das Erste, was durch die öffentliche Diskussion rauscht. Das führt uns zum nächsten Punkt:
Die Liste ist ein Präventivinstrument, welches mit der hohen Gefahr durch Flugzeugentführungen und daraus resultierenden Schäden durch bestimmte Personen gerechtfertigt wird. Das mag rechtsstaatlich grenzwertig sein, jedoch machen andere Länder auch Ähnliches. In Deutschland gibt es zum Beispiel die Einstufung als "Gefährder" durch Sicherheitsbehörden sowie "Gefährderansprachen". Eine effektive Terrorismusbekämpfung scheint in gewissem Rahmen Maßnahmen zu benötigen, die unterhalb der Schwelle des klassischen "Wir ermitteln erst, wenn eine konkrete Straftat stattgefunden hat"-Mantras stehen. Das ist für viele Bürgerrechtler schwer nachzuvollziehen, allerdings kämpfen Terrorgruppen und selbst Einzeltäter in gewissen Dingen eben nicht wie "normale" Kriminelle. Gerade weil Terrorismus oftmals in spektakulären Massenmorden gipfelt, ist hier ein
Verhinderungsansatz notwendig. Wir wollen solche Taten vor der Ausführung verhindern. Daher auch verdeckte Ermittler oder "Sting Operations" in solchen Zusammenhängen. Bei normalen Körperverletzungen haben wir keinen solchen Verhinderungsansatz, sondern nur einen Aufklärungsansatz oder wenn dann machen es beispielsweise Diskobesitzer nur mit privaten Maßnahmen. Aus guten Gründen. Denn Kneipenschlägereien oder Ladendiebstähle haben weniger dramatische Folgen als Terroranschläge wie in New York 2001, London 2005 oder Paris 2015. Und die Täter sehen sich auch nicht in einem ideologischen Kampf gegen ganze Staaten oder Gesellschaften. Meistens zumindestens.
Ob die No-Fly-Liste in der derzeitigen Ausgestaltung das effektivste und gerechtfertigste Mittel dafür ist, bezweifle nach solchen Veröffentlichungen auch ich. Vielleicht könnte man sie auch komplett abschaffen. Denn selbst wenn es ein Terrorist auf dieser Liste auf ein Flugzeug schafft, muss er ja immer noch durch die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen und wird wahrscheinlich keine Waffe oder Messer mit ins Flugzeug nehmen können. Gleichwohl sind dann solche - ebenfalls oftmals als nervig kritisierte - Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen absolut
unabdingbar, um Gefahrenpotenziale zu erkennen, wenn die No-Fly-Liste abgeschafft werden würde. Ohne Sicherheitsmaßnahmen geht es nicht und es wird wahrscheinlich - aus traurigen, aber guten Gründen - keine Rückkehr zu Sicherheitsvorkehrugen an Flughäfen geben, wie es sie vor dem 11. September gab.